von Dr. Rüdiger Höflechner,
»Animal Art«-Jäger und -Sammler
Warum ich vor einigen Jahren angefangen habe, von Tieren gemalte Bilder zu sammeln, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Es muss wohl die Faszination gewesen sein, die mich erfasste, als ich zum ersten Mal von malenden Affen hörte. Schon während meines Studiums waren es vor allem die Gemeinsamkeiten zwischen Menschenaffen und Menschen, die mich beeindruckt haben. Abgrenzungsversuchen gegenüber war ich stets skeptisch. Der Hauptzweck von Abgrenzungen war schon immer, eigene Privilegien zu sichern und Abgegrenzte ausbeuten zu können. Abgegrenzte dürfen als Sklaven gehalten oder für Tierversuche verwendet werden. Haben wir es heute wirklich noch notwendig, unsere zweifellos beeindruckenden Fähigkeiten durch künstliche Grenzzäune herauszustreichen?
Zahlreiche angebliche Alleinstellungsmerkmale des Menschen haben in den letzten Jahrzehnten einer kritischen Überprüfung nicht standgehalten: Wir wissen heute, dass Schimpansen Humor haben, Werkzeuge nicht nur benutzen, sondern auch herstellen können, kulturelle Traditionen an ihre Nachkommen überliefern, die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis besitzen und ähnlich wie wir Menschen um verstorbene Artgenossen trauern. Nicht Gorillas oder Orang-Utans, sondern wir Menschen sind die nächsten Verwandten von Schimpansen und Bonobos. Wir sind mit Schimpansen näher verwandt als afrikanische mit asiatischen Elefanten. Aufgrund der entwicklungsgeschichtlich gesehen nicht sehr weit zurückliegenden Aufspaltung unseres Stammbaums bin ich davon überzeugt, dass praktisch alle unsere Fähigkeiten und Empfindungen zumindest in rudimentären Ansätzen schon bei unseren nächsten tierischen Verwandten zu finden sind.
Das gilt auch für die Anfänge von Kunst. Grundzüge von Ästhetik, Spieltrieb, Neugier, aber auch die Fähigkeit, sich in eine Arbeit vertiefen zu können - all das findet man auch schon bei höheren Primaten. Kinder beginnen etwa mit zwölf Monaten, sich für Malen zu interessieren. Menschenaffen stehen bewusstseinsmäßig und in Bezug auf viele kognitive Fähigkeiten ungefähr auf der Stufe eines vierjährigen Kindes. Wäre es da nicht verwunderlich, wenn sie nicht auch ähnlich wie Kinder malen könnten? Dass sie es können, zeigen mir mittlerweile viele Bilder meiner Sammlung. Und so wie es beim Malen talentiertere und weniger talentierte Kinder gibt, ist auch nicht jeder Schimpanse oder Orang-Utan ein begnadeter Künstler.
Zu den ersten Belegen für menschliche Kreativität und künstlerische Fähigkeiten zählen eine 73.000 Jahre alte, nur wenige Zentimeter große Kritzelei auf einem Stein, der in der südafrikanischen Blombos-Höhle entdeckt wurde, ein mehr als 50.000 Jahre alter Fußknochen eines Riesenhirsches aus der Einhornhöhle im Harz, in den Neandertaler sechs Kerben geschnitzt haben, und 40.000 Jahre alte Handabdrücke in einer Höhle auf Sulawesi. Wenn diese Funde bereits als Beginn menschlicher Kunstfertigkeit gefeiert werden, frage ich mich, was die Forscher wohl gesagt hätten, wenn sie ein Bild von Barito an einer Höhlenwand entdeckt hätten?
Die unvermeidliche Frage, ob das, was malende Tiere zu Papier bringen, als Kunst bezeichnet werden kann, sollte sich eigentlich in einer Zeit, in der auch eine Fettecke, ein Schüttbild oder ein eingepacktes Gebäude im Kulturteil der Zeitung abgehandelt wird, erübrigen. Ich bevorzuge da eine pragmatische Definition: Kunst ist das, was in Galerien ausgestellt, von Museen gesammelt und von Sammlern gekauft wird. Jedem Kritiker, der sagt, er könne auch ein schwarzes Quadrat auf hellem Untergrund malen oder in Pollock-Manier Farbe auf eine auf dem Boden liegende Leinwand tropfen, steht es frei, sein Glück auf dem Kunstmarkt zu versuchen. Wichtige Ingredienzien einer erfolgreichen künstlerischen Karriere sind eine Idee, handwerkliches Know-how und vor allem ein Erkennungswert. Ein Bild von Maria Lassnig, Roy Liechtenstein oder Gerhard Richter erkennt man, auch wenn man es vorher noch nicht gesehen hat. Hätte sich William Turner ähnlich wie Wolfgang Beltracchi durch alle Stile der Weltgeschichte gemalt, wäre er trotz hoher handwerklicher Kunstfertigkeit wohl kaum so bekannt geworden.
Was das jetzt mit malenden Affen zu tun hat? Wer sich ein bisschen mit dem Thema beschäftigt, wird erstaunt feststellen, dass viele malende Schimpansen oder Orang-Utans ebenfalls einen eigenen Stil entwickelt haben, der einen hohen Wiedererkennungswert besitzt. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Schimpanse Congo mit charakteristischen fächerförmigen Mustern. Der Orang-Utan Barito, das wohl größte Talent aus der affenBRUT-Schmiede, besticht mit seinem schwungvollen Farbauftrag. Ganz anders der Schimpanse Brent, im Jahr 2013 Gewinner eines Schimpansen-Malwettbewerbs, der behutsame Bilder mit der Zunge malte (von der FAZ auch als „Meister des Pointillismus“ bezeichnet). Der amerikanische Regisseur und Kunstsammler John Waters wiederum hält große Stücke von der fingermalenden Betsy. Apropos Kunstsammler: Stolze Besitzer von Congo-Bildern waren unter anderem Pablo Picasso, Joan Miro, Roland Penrose und Prinz Philip.
Die Welt ist leider nicht immer gerecht: Über Erfolg oder Nicht-Erfolg in der Kunstwelt entscheidet nicht das künstlerische Handwerk alleine. Äußerst hilfreich ist auch ein interessanter Lebenslauf. Es schadet dem künstlerischen Renommee keinesfalls, wenn man sich ein Ohr abschneidet, sich extravagant den Bart aufzwirbelt, in die Südsee auswandert, ein paar Tage wegen Verbreitung unsittlicher Zeichnungen im Gefängnis sitzt oder mit prominenten Zeitgenossen befreundet oder liiert ist. Auch hier können viele tierische Künstler mit einer mehr oder weniger spektakulären Lebensgeschichte punkten: das große Talent Congo starb schon im Alter von zehn Jahren an Tuberkulose, während der Gorilla Ivan, dessen Leben auch von Disney verfilmt wurde, sein Leben 27 Jahre lang in einem kleinen Käfig in einem Einkaufszentrum fristete, bevor er befreit wurde und in seinem zweiten Leben auch zu malen begann. Viel zu erzählen wüssten wahrscheinlich auch Bubbles, der malende Schimpanse Michael Jacksons und der Bonobo Kanzi, der durch sein ausgeprägtes Sprachverständnis berühmt wurde. In diese illustre Schar von Tieren mit dramatischen oder spannenden Lebensläufen reiht sich auch ein anderes Schwergewicht der tierischen Kunstszene ein: Pigcasso, eine südafrikanische Schweinedame, wurde vor dem Schlachthof gerettet und verblüfft heute durch Trance-artige Mal-Videos und farbenfrohe, großformatige Kunstwerke, die bereits in zahlreichen Ausstellungen gezeigt wurden.
Das bringt mich zu einer anderen Frage: Welche Tiere sind noch dazu in der Lage, zu malen? Meine Sammlung umfasst mittlerweile rund dreißig verschiedene Tierarten. Doch wenn man ehrlich ist, geht es bei den meisten Bildern nur um den Faktor Kuriosität. Natürlich erfordert es eine gewisse Fertigkeit, einen Pinsel mit dem Maul oder in der Pfote zu halten und Farbe auf einer Leinwand zu verteilen. Diesen Dressurakt würde ich mit dem Sprung eines Tigers durch einen brennenden Reifen oder dem Laufen eines Hundes auf zwei Beinen vergleichen. Selbst bei einer sehr weiten Fassung des Kunstbegriffs bleibt da nicht mehr sehr viel Kunst übrig. Sehr wohl können dabei aber bei entsprechender Farb- und Hintergrundwahl ästhetisch ansprechende Bilder entstehen, die man sich gut an die Wand hängen kann.
Neben Primaten scheint es aber doch einige Tierarten zu geben, denen man zumindest mit Abstrichen auch ein gewisses künstlerisches Talent unterstellen kann: Dazu zählen meiner Meinung nach neben Schweinen auch Pferde und Hunde (also alles Tierarten, die gemeinhin auch als intelligent gelten). Ganz klar ist natürlich, dass Tierbilder immer das Ergebnis eine Kooperation von Mensch und Tier sind. Es ist der Mensch, der den Malgrund, die Hintergrundfarbe, die Malfarben und das Malwerkzeug aussucht. Und meistens (aber nicht immer) ist es auch der Mensch, der entscheidet, wann das Bild fertig ist.
Im Idealfall einer kongenialen Partnerschaft kann das zu beeindruckenden Bildern führen, wie das Beispiel der Zusammenarbeit von Christine Peter mit den Schimpansen im Leintalzoo Schwaigern zeigt. Solche Vorgaben und Einschränkungen gelten natürlich auch für malende Kinder, die auch auf die Unterstützung Erwachsener angewiesen sind. Und bei Auftragsarbeiten kommen selbst bekannte menschliche Künstler nicht drum herum, den Auftraggeber über Farbe, Größe und Motiv mitentscheiden zu lassen.
Zuletzt noch eine für mich auch ganz wichtige Frage: Malen ist für Tiere natürlich keine artgerechte Betätigung. Ist es vielleicht sogar Tierquälerei, Tiere zum Malen zu animieren? Wenn einer der Hauptzwecke der künstlerischen Betätigung der finanzielle Ertrag ist, kann dieser Verdacht nicht von der Hand gewiesen werden. Das trifft zum Beispiel auf Elefantencamps in Südostasien zu, die von Touristeneinnahmen leben. Es gibt Videos, die zeigen, wie Tiere mit Elefantenhaken gezwungen werden, die immer gleichen Muster auf die Leinwand zu pinseln. In westlichen Zoos hat das Malen hingegen einen ganz anderen Zweck: Da geht es nicht um eine Einnahmequelle (dazu sind die Erlöse viel zu gering), sondern um Tierbeschäftigung (Enrichment). Jetzt über Aufgaben und Sinnhaftigkeit von Zoos zu diskutieren, würde den Rahmen dieser Seite sprengen. Unbestritten ist aber, dass die Haltungsbedingungen in vielen Tierparks noch erhebliches Verbesserungspotenzial haben. Ein ganz wichtiger Ansatz in diesem Zusammenhang ist es, Abwechslung in den Zooalltag zu bringen. Malen ist eine Möglichkeit, die auch das Vertrauensverhältnis zwischen Tierpflegern und Tieren fördert. Da die malenden Tiere in der Regel eine Belohnung bekommen, ist es eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Wenn man Tierbesitzern Glauben schenken kann, macht es auch den vielen malenden Haustieren Spaß, Farbe auf eine Leinwand zu klecksen. Man bekommt schließlich Aufmerksamkeit, Lob und schließlich auch noch ein Leckerli.
Beenden möchte ich die Diskussion, ob es ethisch vertretbar ist, Tieren Malen beizubringen, mit zwei Zeugen, denen man sicher nicht unterstellen kann, Tierquälerei Vorschub zu leisten: Zum einen Jane Goodall, die nicht nur auf zahlreichen Fotos mit den Werken malender Affen zu sehen ist, sondern unter anderem auch den malenden Schimpansen Cheeta zu seinem vermeintlichen 75. Geburtstag in „schimpansisch“ beglückwünschte. Im vom Jane-Goodall-Institut geführten Tchimpounga Chimpanzee Rehabilitation Center (Republik Kongo), in dem verwaiste Schimpansen aufgezogen werden, wird im Rahmen der Beschäftigung auch regelmäßig gemalt. Als zweites möchte ich die Tierschutzorganisation PETA in den Zeugenstand rufen: Als 2012 in einer Anhörung des US-Senats über den historischen Great Ape Protection and Cost Savings Act (GAPCSA) diskutiert wurde, der das Ende für invasive Forschung an Menschenaffen und die Zucht von Menschenaffen für Forschungszwecke in den USA besiegelte, schickte die Tierschutzorganisation PETA an die Kongressmitglieder den Reprint eines von einem Schimpansen gemalten Bildes. Beigelegt waren ein Foto und der Lebenslauf des Künstlers, eines Schimpansen namens Jamie, der aus einem Versuchslabor gerettet worden war. Ein Schimpansenbild als positives Beispiel dafür, wie ähnlich uns unsere nächsten tierischen Verwandten in ihren Bedürfnissen und ihrer Ausdrucksform sind.
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