von Heinz Hachel, Kunstbüro Düsseldorf
Stand 06.08.2019
»Jeder Künstler ist ein Mensch«, hielt der Neue Wilde Martin Kippenberger einst den völkisch-okkulten Verirrungen seines Kollegen Joseph Beuys entgegen. Ein starker und richtiger Satz. Doch gilt der auch, wenn man ihn, was von Kippenberger so nicht intendiert war, im Kontext der Affenmalerei liest?
Man steht vor den Bildern und denkt »Wow! Das hat ein Affe gemalt?« Vielleicht kommt einem sogar der renommierte Primatenforscher Frans de Waal in den Sinn, der davon ausgeht, dass der »Keim der Ästhetik«2 bei Menschenaffen bereits aufgegangen ist. Oder der Verhaltensforscher Desmond Morris, der einem dem Menschen wie dem Affen angeborenen Trieb postuliert, sich ästhetisch auszudrücken.
Mag alles sein. Gerade wenn man erlebt, wie konzentriert, leidenschaftlich und weltvergessen Menschenaffen ans Werk gehen, wenn sie die Farben zu abstrakten Formen und Strukturen verstreichen, sie verschmieren und im Pastösen krakeln. Nicht zufällig vergleicht Morris die Affenmalerei mit den Werken des Tachismus, einer Richtung der informellen Malerei, die Empfindungen durch spontanes und jede rationale Kontrolle vermeidendes Auftragen von Farbe auf die Leinwand auszudrücken sucht.
Damals, Ende der 50er Jahre, das Abstrakte war gerade en vogue, wurde die Affenmalerei ob ihrer äußerlichen Nähe zu diesem Stil zum Medienthema. Nobilitiert durch Ausstellungen, etwa im Institute of Contemporary Arts, blickte eine interessierte Öffentlichkeit gebannt auf die tierischen Maler. Der Star von ihnen hieß Congo, ein Schimpanse, der während seiner zweijährigen Schaffensperiode rund 400 Blätter produzierte.3
Doch war es Kunst, die dort gezeigt wurde? Ist es Kunst, was nichtmenschliche Primaten heute produzieren? Dürfen ihre Werke (wenn auch hinter vorgehaltener Hand) in einem Atemzug mit Jackson Pollock, Karl Otto Götz oder Emil Schumacher genannt werden?
Kann ich auch! Wohl jeder kennt diese flapsige Entwertung moderner Kunst. Um ein griffiges Beispiel zu wählen: Das auf weiße Leinwand gemalte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch (1915) ist nicht nur ein schwarzes Quadrat auf weißer Leinwand. Es steht für die, so seinerzeit der Künstler, »Empfindung der Gegenstandslosigkeit«.4
Das Bild ist Konzept und Schlussakkord eines langen Prozesses, in dem Malewitsch sich intensiv mit Kunstgeschichte, Politik und Philosophie auseinandersetzte. Nicht das Sichtbare, viel mehr das Unsichtbare ist hier die Kunst. Der bloße Farbauftrag wird da zu etwas eher Nachgeordnetem. Und auch der Tachismus, der jenseits aller rationalen Einfriedung und jedweder Konvention pure Emotion auf die Leinwand bringen wollte, versuchte das auf Basis einer ausformulierten Konzeption.
Die Kunsthistorikerin Susanne Leeb schlägt deshalb vor, »Kunst auf einer Verbindung von Materialität und Intelligibilität zu begründen«.5 Damit verweist sie auf das enge Zusammenwirken von Genetik, Gesellschaft und dem kognitiven Vermögen des Einzelnen: einem dynamischen System, in dem sich die Fähigkeit von Homo sapiens entwickelte, Zusammenhänge ohne sinnliche Wahrnehmung, nur durch den Intellekt zu erfassen. Diese intelligiblen Leistungen gehören zum substanziellen Kern dessen, was Menschsein ausmacht. Sie gehören zu unserem Gattungswesen. Und Kunst zählt zu dessen Erscheinungsformen. Sie zeigt sich dort, wo Reflexionen über Ich, Gesellschaft und Welt ihren symbolisch-bildnerischen Ausdruck finden.
So eng an den Spezifikationen unserer Spezies definiert, lässt sich die Malerei unserer Gattungsnachbarn – zumindest auf den ersten Blick – nicht im illusteren Raum des Kunstbetriebs verorten. Doch strotzen viele Affenbilder nicht geradezu vor gestischer Vitalität? Lassen sie nicht ein rudimentäres Gespür für Form und Komposition erahnen, gar ein schöpferisches Potenzial vermuten?
Menschenaffen nehmen Bezug auf Markierungen, die auf das zu bemalende Material aufgebracht werden. Sie tarieren Ungleichgewichte aus, sie komplettieren unvollständige Formen, beispielsweise einen nicht geschlossenen Kreis. Und bei nicht wenigen Malprozessen legen sie den Pinsel erst dann zur Seite, wenn das Bild den Zustand optimaler Spannung erreicht hat. Oder sind all diese Deutungen lediglich anthropomorphen Verklärungen der Affenmalerei geschuldet? Alles nur Vermenschlichung? Ist das vorgeblich kompositorische Vermögen, in dem Desmond Morris die biologischen Wurzeln der Kunst vermutet, vielleicht nur ein überinterpretiertes exploratives Spiel?
Das magere Forschungsmaterial lässt eindeutige Schlüsse nicht zu. Doch die Malerei der Menschenaffen als rein motorische Fertigkeit, als puren Bewegungsausdruck zu entwerten, verstellt auf jeden Fall den Blick auf den subjektiven Faktor ihres Tuns.
Schwer vorstellbar, dass Menschenaffen, deren Malerei der eines ein- bis dreijährigen Kindes in seiner Kritzelphase entspricht, nicht erkennen sollten, dass sie mit ihrem Malwerkzeug etwas bewirken und so etwas wie eine Ich-Spur hinterlassen. Zwar scheint den Affen die innere Beziehung zu ihrem Werk zu fehlen. Einmal aus der Hand gegeben, verlieren sie schnell das Interesse am Gemalten. Ein Spielzeug, das beiseite gelegt wird. Gleichwohl sind sie sich des Tauschwertes ihrer Arbeit bewusst. Bild gegen Obst. Zu wenig Obst? Bild wird zerstört. So hat es die Orang-Utan-Dame Sandra im Krefelder Zoo praktiziert. Und Sita, wie Sandra einst im Krefelder Zoo beheimatet, drückte ihre Zuneigung für eine ihr nah stehende Bezugsperson gar durch die gegenleistungslose Schenkung eines Bildes aus.
Doch anders als das drei- bis fünfjährige Kind, das mit Kopffüßlern erste Darstellungen von Menschen entwickelt (siehe Bild oben) und damit Objekte der Außenwelt in seine Bildwelt integriert (Objektrepräsentanzen genannt), verharren Menschenaffen in der Kritzelphase. Auch wenn die »Gorilla Foundation« im kalifornischen Redwood City Reproduktionen von Gemälden der 2018 verstorbenen Gorilla-Dame Koko mit dem Verweis auf echte Objektrepräsentanzen verkauft.6
»Bird« heißt eines dieser Werke, das einen Vogel darstellen soll.7 (siehe Slider unten) Ein anderes Bild sei sogar von der Malerin selbst betitelt worden – auf Basis einer abgewandelten Form der amerikanischen Gebärdensprache, die Koko von der Entwicklungspsychologin Dr. Francine Patterson gelehrt wurde.8 »Pink Pink Stink Nice Drink« ist der Name dieses Bildes, das laut Patterson einen Blumenstrauß zeigt. (siehe Slider unten)
»Drink« war Kokos Zeichen für Wasser, »Stink« für Blume.9 Problematisch ist, dass Patterson und die »Gorilla-Foundation« ihr Datenmaterial externen Wissenschaftler nicht zugänglich machen.10 Doch die Überprüfbarkeit von Daten ist die Voraussetzung, um belastbare Hypothesen zu formulieren. Diese Daten müssen unter dokumentierten und reproduzierbaren Bedingungen gewonnen werden. Nur so können kognitive Verzerrungen, also unbewusste Fehlschlüsse11 bei der Auswertung der Experimente ausgeschlossen oder Objektrepräsentationen gegebenenfalls bestätigt werden. Letzteres wäre eine Sensation. Koko hätte die Welt in ihre Bilder geholt.
Unstrittig ist, dass Menschenaffen kreative Wesen sind. Sie entwickeln erstaunliche Problemlösungen, benutzen Werkzeuge und verfügen über differenzierte Kulturtechniken. Doch Kreativität ist lediglich eine notwendige, letztendlich jedoch keine hinreichende Bedingung für die Kunstproduktion. Jedenfalls nicht im Sinne eines anthropozentrisch definierten Kunstbegriffs, für den Intention und Konzept grundlegend sind.
Doch sollten die Affenbilder (auch ohne Kunst in diesem elaborierten Sinne zu sein) nicht einen zumindest randständigen Platz im Kunstgefüge einnehmen? Angesiedelt irgendwo in der Korona einer entgrenzten Art Brut? Einer Kunst also, die per Definition außerhalb des Kunstsystems entsteht – produziert von Menschen, in deren Selbst- und Weltwahrnehmung dieses System auch gar keine Rolle spielt.
Outsider art wird die Art brut im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch genannt. Es ist die Kunst von Kindern, Laien, psychisch Kranken oder geistig behinderten Menschen. Menschen, die ihre Kreativität nicht entlang zivilisatorisch vorgestanzter Schablonen ausleben, nicht eingezwängt sind in die herrschenden Raster von Kunst und Ästhetik – zumindest tendenziell.
Absolut aber gilt dieses »Jenseits-sein-von« für nichtmenschliche Primaten. Denn ihre Werke entstehen nicht nur außerhalb des Kunstsystems und jenseits aller ästhetischen Programmatiken. Sie entstammen einem anderen biologischem Terrain.
Die Affenmalerei – integriert in den Kosmos der Art brut – könnte diese Kunstgattung um eine genetische Fundamentalkategorie ergänzen. Ein Outsider-Status nicht definiert über soziokulturelle oder medizinische Zuschreibungen, sondern über Gattung und Genom. So eine »Art brut animal« wäre als nicht-menschliche Kunst eine anregende, sicher auch konfliktträchtige Bereicherung der Kunstszene. Nicht nur aus philosophischer Sicht. Auch aus der Perspektive eines künstlerischen Selbstverständnisses, das die Kunst zur ausschließlichen Chefsache von Homo sapiens erklärt. Hier könnte die Aufwertung der Affenmalerei einen kleinen, doch wichtigen Beitrag leisten, die Hybris der menschlichen Spezies und die damit einhergehende Diskriminierung anderer Lebewesen ein Stück weit aufzubrechen.
»Aber egal wie man die Malereien interpretiert«, schreibt Dr. Jessica Ullrich, Vertretungsprofessorin für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Münster: »Sie sind Beweise tierlicher Handlungsfähigkeit, Intentionalität und Subjektivität, die sich jeder menschlichen Interpretation verweigern – und damit bleiben sie wild.«12
Und es ist wohl genau dieses Originäre und Archaische in den Bildern, das so viele Menschen fasziniert. Verweist es doch auf die geheimnisvolle Grauzone der Evolution, auf jene minimale Differenz, die uns genetisch von nicht-menschlichen Primaten unterscheidet. Damit schlummert in der Affenmalerei zugleich die existenzielle Frage nach der Natur des Menschen selbst. Was macht uns so besonders? So anders? Wann und wo und wie wurde das Wilde in uns gebändigt? Einigermaßen gebändigt.
Als Jörg Immendorf sein Alter Ego als Malaffen stilisierte, hob er, bei allem semantischen Reichtum der Metapher, auch auf dieses triebhaft Animalische ab. Doch das kann, wenngleich in der Kunst so oft beschworen und für das eigene Werk reklamiert, von Homo sapiens nur als Attitüde praktiziert werden. Die Komplexität unseres Großhirns lässt anderes nicht zu.
Und so sitzen die wahren Tachisten in den Gehegen und tun dort, was sie im originalen Habitat niemals tun würden. Sie sitzen da und malen.
1 zit. n. Susanne Rohringer: Martin Kippenberger: Der gemalte Witz. In: artmagazine v. 12.09.2016, http://www.artmagazine.cc/content95249.html (abgerufen 02.07.2019)
2 vgl. Warum malen Affen. In: Die Welt v. 22.06.2005. https://www.welt.de/print-welt/article677669/Warum-malen-Affen.html (abgerufen am 02.07.2019)
3 Drei von Congos Blättern kamen 2005 im Londoner Auktionshaus Bonhams für insgesamt 21.515,00 Euro unter den Hammer.
4 zit. n. Karen N Gerig: Die Empfindung einer Linie. In: Tageswoche v. 04.03.2014. https://tageswoche.ch/kultur/die-empfindung-einer-linie/ (abgerufen 02.07.2019)
5 Leeb, Susanne: Kreativität im Mensch-Tier-Vergleich. www.bbooks.de/texteprojekte/txt/leeb.htm (abgerufen am 02.07.2019)
6 vgl. The Gorilla Foundation, Woodside, Kalifornien/USA. https://www.koko.org/product-category/gorilla-art/ (abgerufen 04.07.2019)
7 vgl. The Gorilla Foundation, Woodside, Kalifornien/USA. https://www.koko.org/shop/gorilla-art/bird-by-koko/ (abgerufen 04.07.2019)
8 Über 1.000 Zeichen hat Koko beherrscht, soll gar neue Wortkombinationen kreiert haben.
9 vgl. The Gorilla Foundation, Redwood City, Kalifornien/USA. https://www.koko.org/shop/gorilla-art/pink-pink-stink-nice-drink-by-koko/ (abgerufen 04.07.2019)
10 vgl. Jane C. Hu: What Do Talking Apes Really Tell Us? In: Slate v. 20.08.2014. https://slate.com/technology/2014/08/koko-kanzi-and-ape-language-research-criticism-of-working-conditions-and-animal-care.html (abgerufen 02.07.2019)
11 In Anbetracht der jahrzehntelangen tiefen emotionalen Verbindung zwischen Dr. Francine Patterson und Koko können kognitive Verzerrungen bei der Interpretation der Bilder »Bird« und »Pink Pink Stink Nice Drink« nicht ausgeschlossen werden. Kognitive Verzerrungen beschreiben systematische Fehler beim Wahrnehmen, Denken und Urteilen, die aber in der Regel unbewusst bleiben. Angesichts des abstrakten Formen- und Farbenspiels der beiden genannten Bilder (siehe Abbildungen oben) könnten folgende Effekte die Beurteilung verfälscht haben: Der »Bestätigungsfehler« (Confirmation bias) meint die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen. Die »Emotionale Schlussfolgerung« (Emotional reasoning) bezieht sich auf die Neigung, eine empfundene Emotion als Beweis für eine Annahme zu betrachten. Und »Pareidolien« bezeichnen bewusst oder unbewusst hervorgerufene Fehldeutungen durch das menschliche Gehirn, das in Dingen und Mustern Gesichter, vertraute Wesen oder Gegenstände zu erkennen glaubt. Zu kognitiven Verzerrungen siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Verzerrung
12 Jessica Ullrich: Walk on the wild side. In: Gerald Schröder / Christina Threuter (Hg.): Wilde Dinge in Kunst und Design, transcript Verlag 2017, S. 292
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